Mehr Verständnis für Depressionen seit Enke-Suizid
Immer noch nehmen sich fast 30 Menschen jeden Tag in Deutschland das Leben, rund vier Millionen sollen unter Depressionen leiden. Trotzdem gibt es positive Nachrichten, denn das Verständnis der Menschen für das Thema Depressionen hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. Dazu hat auch die Berichterstattung über den Suizid des Nationaltorhüters Robert Enke beigetragen, wie Umfragen gezeigt haben.
Die Befragungen wurden im Rahmen des OSPI-Europe (Optimising suicide prevention programmes and their implementation in Europe), einem internationalen Forschungsprojekt zur Aufklärung über Depression und Suizidprävention, durchgeführt. Geleitet wurde das Projekt von Professor Ulrich Hegerl, Vorstandsvorsitzendem der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Leipzig. Dabei sollte die Wirkung einer lokalen Aufklärungskampagne in Leipzig im Vergleich zu einer Kontrollregion ohne Kampagne in Magdeburg untersucht werden.
Medienberichte verändern Haltung zu Depressionen
Die Aufklärungskampagne in Leipzig wurde in den Jahren 2009 und 2010 durchgeführt. Vor Beginn der Kampagne sowie nach ihrem Ende wurden je 1000 Personen telefonisch zu ihrer Einstellung und ihrem Hilfesuchverhalten bei Depression befragt. Im November 2009 hatte sich Robert Enke das Leben genommen, was die Ergebnisse der Befragung unerwartet beeinflusste. Wie stark die Wirkung der öffentlichen Berichterstattung war, zeigten Kontrollumfragen in Magdeburg. Denn nicht nur in Leipzig, wo die Aufklärungskampagne stattgefunden hatte, sondern auch in Magdeburg, wo es keine derartige Kampagne gab, hatten sich Wissen und Haltung zum Thema Depressionen signifikant verbessert.
So hielten im Jahr 2009 noch 30 Prozent der Befragten in Leipzig und 20 Prozent in Magdeburg Depressionen für ein Zeichen persönlicher Schwäche, 2010 glaubten dies nur noch 10 Prozent. 2009 glaubten auch noch 30 Prozent der Befragten in beiden Städten, Menschen mit Depression seien gefährlich, 2010 war auch dieser Anteil auf 10 Prozent gesunken. Auch in der Einstellung zum Hilfesuchverhalten konnten Veränderungen festgestellt werden. Im Juni 2009 hatte noch die Hälfte der Befragten folgenden Satz bejaht: „Ein Mensch sollte seine Probleme alleine lösen, psychologische Beratung wäre das letzte Mittel“. 2010 teilten nur noch 20 Prozent der Leipziger und 25 Prozent der Magdeburger diese Auffassung.
Germanwings-Absturz könnte Stigma wieder verstärkt haben
Experten befürchten allerdings, dass es nach dem Germanwings-Absturz 2015 einen Rückschlag beim Verständnis für Depressionen gegeben haben könnte. „Die Berichterstattung zum Germanwings-Absturz könnte das Stigma gegenüber der Depression in der Zwischenzeit sogar wieder verstärkt haben“, so Professor Hegerl. „Wie die Reaktionen im Online-Diskussionsforum Depression der Stiftung Deutsche Depressionshilfe zeigen, wurden viele depressiv Erkrankte durch die öffentlich diskutierte Aufweichung der ärztlichen Schweigepflicht mit Meldepflicht für Depressionen bei bestimmten Berufsgruppen oder die Frage nach Berufsverboten verunsichert. Ich befürchte, dass sich dadurch wieder weniger Betroffene trauen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.“
Für die Stiftung Deutsche Depressionshilfe bedeutet das, ihre Aufklärungsarbeit weiter auszubauen. Dazu ist sie auf Spenden angewiesen. Die Deutsche Depressionshilfe, als deren Schirmherr der Entertainer Harald Schmidt fungiert, wurde im Jahr 2008 gegründet. Ihr Ziel ist es, einen Beitrag zur besseren Versorgung depressiv erkrankter Menschen und zur Reduktion der Zahl der Suizide in Deutschland zu leisten.
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