Das Gesundheitsportal aus der Hauptstadt
Logo Gesundheitsstadt Berlin
Das Gesundheitsportal aus der Hauptstadt

Medizinische Altersschätzung bei Flüchtlingen umstritten

Mittwoch, 5. Oktober 2016 – Autor:
Die Altersschätzung von jungen Flüchtlingen wird in den Bundesländern unterschiedlich gehandhabt. Die Bundesärztekammer hält eine medizinische Untersuchung nur in Ausnahmefällen für gerechtfertigt. Rechtsmediziner verteidigen die Untersuchung.
Die Medizinische Altersschätzung von Flüchtlingen ist nicht standardisiert. Die Zentrale Ethikkommission der Bundesärztekammer möchte das ändern

Die Medizinische Altersschätzung von Flüchtlingen ist nicht standardisiert. Die Zentrale Ethikkommission der Bundesärztekammer möchte das ändern – Foto: absolutimages - Fotolia

Rund 300.0000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sollen sich in Deutschland aufhalten. Bei der Registrierung müssen sich die Behörden auf die Angaben der Flüchtlinge verlassen, denn oft können die jungen Leute ihr Alter nicht dokumentieren. Manchmal bestehen allerdings Zweifel an den Altersangaben. In diesen Fällen kann die Behörde eine medizinische Altersschätzung veranlassen. Hierzu gehören in der Regel eine radiologische Untersuchungen des Handknochens, bei der die Wachstumsfuge beurteilt wird, eine Begutachtung der Weisheitszähne, eine psychologisches Gespräch, manchmal auch Blutentnahmen oder Genitaluntersuchungen.

Einheitlicher Standard gefordert

Doch wie weit Ärzte dabei gehen dürfen, ist umstritten. Die Zentrale Ethikkommission der Bundesärztekammer (ZEKO) hält die medizinische Altersschätzung nur in Ausnahmefällen für gerechtfertigt. „Wenn überhaupt, sollten sie nur auf Antrag des Geflüchteten selbst oder auf gerichtliche Anordnung vorgenommen werden“, erklärte Dr. Ulrich Clever, Menschenrechtsbeauftragter der Bundesärztekammer. Denn die medizinische Altersfeststellung sei ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, findet Clever. Er warnte, dass die Betroffenen ohnehin häufig von Krieg und Flucht gezeichnet seien. „Die Untersuchungen könnten eine weitere Psychotraumatisierung zur Folge haben.“ Zudem sei erwiesen, dass durchmedizinische Untersuchungen das Alter nicht mit hinreichender Zuverlässigkeit festgestellt werden könne. Notwendig sei deshalb die Entwicklung eines interdisziplinärer Standards unter Beteiligung aller relevanten Fachgesellschaften.

Im Zweifel werden die Flüchtlinge jünger geschätzt

Der Hamburger Rechtsmediziner Klaus Püschel vom Universitätsklinikum Eppendorf verteidigt indes die Untersuchung. Er sehe nicht, dass die jungen Flüchtlinge bei der Untersuchung unter psychischem Druck litten, erklärte er dem Hamburger Abendblatt. In der Regel würden die Jugendlichen zwei Jahre jünger geschätzt und seien darum besser dran als vorher, sagte er.

Ob jemand 18 Jahre alt ist oder jünger macht einen großen Unterschied. Kinder und Jugendliche aus Krisenregionen, die unbegleitet nach Deutschland kommen, können nicht abgeschoben werden. Sie werden in der Regel asylrechtlich anerkannt und in Jugendhilfeeinrichtungen, Pflegefamilien oder Wohngemeinschaften betreut. Dies ermöglicht ihnen den Zugang zu Bildung, Erziehung und gesundheitlicher Versorgung.

Genau aus diesem Grund geht es bei der medizinischen Altersschätzung um viel: Für die Asylbewerber um das Bleiberecht und eine Zukunft in Deutschland, für den Staat um ein teures Leistungspaket.

Altersschätzung ist Ländersache

Wie das Alter festgestellt wird, bleibt den Ländern überlassen. Die meisten Bundesländer stellen das Alter lediglich durch Gespräche fest und schätzen so den Entwicklungsstand ein. Im Zweifel wird den meisten dann geglaubt. In Berlin und Hamburg werden diverse Maßnahmen zur Altersfeststellung praktiziert. Insbesondere radiologischen Verfahren und Genitaluntersuchungen haben zu heftiger Kritik geführt.

© absolutimages - Fotolia.com

Hauptkategorien: Berlin , Gesundheitspolitik
Lesen Sie weitere Nachrichten zu diesen Themen: Flüchtlinge

Weitere Nachrichten zum Thema Flüchtlinge

26.03.2017

Millionen syrischer Kinder leben unter ständiger Angst, müssen Gewalt erdulden oder erleben mit, wie Angehörige getötet werden. Viele von ihnen leiden unter posttraumatischen Belastungsstörungen. Gleichzeitig gibt es viel zu wenig psychologische Hilfe in der Krisenregion.

Aktuelle Nachrichten

Mehr zum Thema
Weitere Nachrichten
Die Langzeitfolgen der Corona-Pandemie machen Beschäftigten in Gesundheitsberufen besonders zu schaffen. Das zeigt eine Analyse der AOK-Nordost für Berlin. Eine Berufsgruppe ist sogar doppelt so oft betroffen wie der Durchschnitt der Versicherten.

Die Charité hat am Montag eine stadtweite Kampagne gestartet, um neue Mitarbeitende zu gewinnen. Besonders Pflegekräfte werden umworben, aber auch in Forschung, Lehre und Verwaltung sucht die Universitätsmedizin Verstärkung.

Trotz internationaler Transparenzregeln werden viele klinische Studien nicht veröffentlicht. Wichtige Ergebnisse bleiben somit verborgen. Dem setzt das Berlin Institute of Health (BIH) der Charité nun mit einem öffentlich einsehbaren Dashboard etwas entgegen.
Interviews
Einen ambulanten Pflegedienst in Berlin zu finden, ist schwierig geworden. Personalmangel ist das Hauptproblem. Dabei gäbe es relativ einfache Lösungen, sagt Thomas Meißner vom AnbieterVerband qualitätsorientierter Gesundheitspflegeeinrichtungen (AVG). Im Gespräch mit Gesundheitsstadt Berlin verrät der Pflegeexperte und Chef eines häuslichen Krankenpflegedienstes, wie man Menschen in den Pflegeberuf locken könnte und warum seine Branche noch ganz andere Sorgen hat als die Personalfrage.

Affenpocken verlaufen in der Regel harmlos. Doch nicht immer. Dr. Hartmut Stocker, Chefarzt der Klinik für Infektiologie am St. Joseph Krankenhaus in Berlin Tempelhof, über die häufigsten Komplikationen, die Schutzwirkung der Impfung und den Nutzen von Kondomen.

Zöliakie kann in jedem Lebensalter auftreten und ein buntes Bild an Beschwerden machen. Bislang ist das wirksamste Gegenmittel eine glutenfreie Ernährung. Gesundheitsstadt Berlin hat mit PD Dr. Michael Schumann über die Auslöser und Folgen der Autoimmunerkrankung gesprochen. Der Gastroenterologe von der Charité hat an der aktuellen S2K-Leitinie „Zöliakie“ mitgewirkt und weiß, wodurch sich die Zöliakie von anderen Glutenunverträglichkeiten unterscheidet.
Logo Gesundheitsstadt Berlin