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Krankenkassen fürchten um Arzneimittel-Sicherheit

Montag, 4. April 2016 – Autor: Angela Mißlbeck
Vor möglichen Sicherheitslücken bei der Zulassung von Arzneimitteln auf europäischer Ebene warnt der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Er kritisiert vor allem die Pläne für eine beschleunigte Arzneimittel-Zulassung bei schweren Erkrankungen und fehlenden Therapieoptionen.
Krankenkassen kritisieren Pläne für neue Medikamenten-Zulassung

Krankenkassen mahnen zu Sicherheit bei Arzneimittel-Zulassung. – Foto: grafikplusfoto - Fotolia

„So verständlich die Hoffnung auf Heilung oder Linderung einer Krankheit durch neue Arzneimittel ist, sie darf nicht mit einer partiellen Abkehr vom Grundsatz Sicherheit als Bedingung für die Marktzulassung erkauft werden“, warnt GKV-Verbandsvize Johann-Magnus von Stackelberg. Er erinnert an den Contergan-Skandal in den 70er Jahren und fordert, dass eine solide wissenschaftliche Evidenzgrundlage für die Prüfung von Wirksamkeit und Risiken neuer Arzneimittel vor ihrer Zulassung weiterhin oberste Priorität haben müsse. Stackelberg fordert: „Beschleunigte Zulassungen von Arzneimittel müssen daher Ausnahmen für echte medizinische Versorgungslücken bleiben. Nur hier ist es zu rechtfertigen, dass der sehr frühe Marktzugang mögliche Fehleinschätzungen zu Wirksamkeit, Risiken und Nebenwirkungen aufgrund der dünnen Datenlage zum Zeitpunkt der Zulassung mit sich bringt.“

Der GKV-Spitzenverband verweist auf die bisherigen Erfahrungen mit beschleunigten Zulassungsverfahren. Denn schon jetzt gibt es eine bedingte Marktzulassung und eine Marktzulassung unter besonderen Umständen. Diese Sonderwege will die europäische Zulassungsbehörde EMA zu einem einheitlichen Konzept zusammenführen. Bei dieser neuen beschleunigten Zulassung soll auf vergleichende Phase III-Studien an größeren Patientengruppen verzichtet werden können. Für eine Vollzulassung müssen die Hersteller aber ergänzende Studien zur Sicherheit und Wirksamkeit ihrer Produkte nachliefern.

Warnung: Neue Medikamente werden unsicherer

Der GKV-Spitzenverband kritisiert, dass die Hersteller schon bei den derzeit möglichen beschleunigten Zulassungen versprochene Studienergebnisse entweder nicht oder zeitlich verzögert oder „mit qualitätsmindernden Abweichungen von den ursprünglichen Auflagen“ einreichen würden. Zwischen Januar 2006 und Juni 2015 ließ die europäische Zulassungsbehörde laut GKV-Spitzenverband von 490 Arzneimitteln 26 mit einer bedingten Zulassung zu. Zehn dieser 26 Arzneimittel erhielten eine reguläre Zulassung, nachdem die Hersteller Daten nachgeliefert hatten. Im Durchschnitt dauerte es den Angaben zufolge fünf Jahre bis zur Vollzulassung. Der Krankenkassenverband kritisiert, dass die EMA ihre Auflagen im Nachgang absenke. In keinem Fall sei wegen nicht erfüllter Auflagen die Zulassung entzogen worden. Unbekannt sei, ob anderweitige Sanktionen verhängt wurden.

Kritik: Arzneimittel-Hersteller bleiben Studien schuldig

 „Wir müssen sicherstellen, dass die pharmazeutischen Unternehmen die versprochenen Studien nach Zulassung wirklich liefern und dies auch in einer Qualität, wie es Sicherheit und Versorgungsanspruch der Patienten erfordern“, mahnt daher GKV-Vize Stackelberg. Er kündigte an, dass die Krankenkassen für neue Medikamente mit begrenztem Sicherheits- und Nutzennachweis die Kostenerstattung begrenzen möchten. Die größere Unsicherheit beim Zusatznutzen soll sich in der Höhe des Erstattungsbetrags niederschlagen. Zudem soll die Erstattung zeitlich befristet sein, bis die geforderten Studiendaten vorliegen. „Wenn die Zulassungsebene den Anspruch auf Studienlieferungen nicht effektiv durchsetzt, müssen es die nationalen Sozialversicherungssysteme tun“, begründet von Stackelberg diese Pläne.

Setzt sich die schrittweise Marktzulassung bei neuen Arzneimitteln durch, muss sich auch die Arzt-Patienten-Kommunikation anpassen. „Patienten wie Ärzte haben einen Anspruch darauf, zu wissen, welches Risiko von Neben- und Wechselwirkungen sie eingehen. Die mit dieser Zulassungsart verbundene größere Unsicherheit muss an Patienten und Ärzte kommuniziert werden. Und zwar viel gezielter und breiter als es heute passiert“, so v. Stackelberg.

Foto: grafikplusfoto - Fotolia

Hauptkategorie: Gesundheitspolitik
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