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Kein Täter werden. Auch nicht im Netz

Sonntag, 1. November 2009 – Autor:
Interview mit Prof. Dr. Dr. Klaus M. Beier, Leiter des Instituts für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin, Charité
Prof. Dr. med. Dr. phil. Klaus M. Beier

Prof. Dr. med. Dr. phil. Klaus M. Beier

Das Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin der Charité hat im Juni 2009 ein neues Projekt zur präventiven Behandlung von Kinderpornographienutzern (PPK) gestartet. Wie viele Männer oder auch Frauen haben sich seither gemeldet?

Mehr als fünfzig Betroffene haben sich seit dem Start des Projektes bei uns gemeldet. Darunter sind auch Angehörige, meist Partnerinnen, die herausgefunden haben, dass ihre Männer Kinderpornographie im Internet nutzen. Viele sind schockiert über das, was auf den Bildern dargestellt ist, wissen aber nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Deshalb bieten wir auch Angehörigen unsere Unterstützung an.

Wen wollen Sie in erster Linie mit Ihrer Kampagne "Kein Täter werden. Auch nicht im Netz" ansprechen?

Wir wissen, dass Männer mit pädophiler Neigung aufgrund ihrer Präferenzstörung potentielle oder reale Nutzer von kinderpornographischen Materialien sind. Wir wissen auch, dass mit steigendem Konsum dieser Bilder die Hemmschwelle sinken kann, Kinder tatsächlich sexuell zu missbrauchen. Diesen Männern wollen wir präventiv therapeutische Massnahmen anbieten, bevor es zum Kindesmissbrauch kommt. Mit dem neuen Projekt, das sich gezielt an die Nutzer von Kinderpornographie richtet, wollen wir eine Lücke in der Prävention schliessen.

Haben Männer mit pädophiler Neigung überhaupt genügend Problembewusstsein, um therapeutische Hilfe zu suchen?

Ja, potentielle Täter oder Nutzer, die selbst einen drohenden Impulsdurchbruch vermeiden wollen, suchen therapeutische Hilfe und brauchen eine spezialisierte Anlaufstelle. Aber darüber hinaus wollen wir mit unserer Kampagne das Problembewusstsein in der Öffentlichkeit schärfen. Wir wenden uns primär an zwei Gruppen: Zum einen wollen wir diejenigen erreichen, die sich aufgrund ihrer sexuellen Präferenz von Minderjährigen oder Kinderpornographie stark angezogen fühlen, ihre Impulse jedoch bislang nicht ausgelebt haben. In diesem Fall sprechen wir von Primärprävention für potentielle Täter bzw. Nutzer. Zum anderen möchten wir auch diejenigen ansprechen, die bislang unentdeckt und unbestraft Sexualdelikte gegen Minderjährige begangen haben, eine Tatwiederholung aber selbst verhindern wollen. Das ist die so genannte Sekundärprävention im Dunkelfeld.

Was bieten Sie den Menschen an, die bei Ihnen Hilfe suchen?

Männer der Zielgruppe und auch Angehörige können telefonisch oder elektronisch Kontakt mit uns aufnehmen. Dies geschieht anonym und wir garantieren die therapeutische Schweigepflicht. Im Rahmen der ersten Kontaktaufnahme erfolgt ein telefonisches Interview, bei dem wir eine erste Situationsklärung herbeiführen und einen persönlichen Termin zur weiterführenden Diagnostik anbieten. Die nachfolgende Diagnostik ist verpflichtend für alle Therapieinteressenten und Grundlage für die Teilnahme an einem spezialisierten Therapieprogramm. Derzeit haben wir für das neu gestartete Projekt 24 Therapieplätze. Die Therapie hilft, Auswirkungen und Konsequenzen für die Opfer, für sich und für Angehörige realistisch einschätzen zu können und Lösungswege erkennen zu lernen.

Wie sind die Erfolgsaussichten. Lässt sich eine pädophile Neigung heilen?

Pädophilie ist eine chronische Krankheit, die nicht heilbar ist. Sie manifestiert sich im Jugendalter und ändert sich hiernach nicht mehr. Genau wie etwa bei Diabetes können wir aber mit einer gezielten Therapie Folgeschäden abwenden oder zumindest verringern. Dabei bedienen wir uns verschiedener Behandlungsansätze, die alle darauf abzielen, dass die aus der Sexualpräferenz resultierenden sexuellen Impulse auf der Fantasieebene verbleiben und deren Übergang auf eine Verhaltens- bzw. Interaktionsebene unterbunden bleibt. Das vorrangige Therapieziel ist die Erhöhung der Verhaltenskontrolle.

Bisherige Bemühungen, Kinderpornographie einzudämmen, beschränken sich darauf, den Zugang zu entsprechenden Materialien zu erschweren oder die Nutzer und Hersteller zu bestrafen. Sehen Sie Ihr Projekt als eine Ergänzung oder als eine Alternative zu diesen Massnahmen?

Blockaden zu schaffen ist ein Ansatz - ein präventives Therapieangebot ein anderer. Insofern sehe ich unser Projekt als Ergänzung, nicht als Konkurrenz zu anderen Massnahmen. Jedes Signal ist wichtig, welches hilft, die Botschaft zu kommunizieren, dass die Nutzung von Kinderpornographie genauso unterbleiben muss wie sexueller Missbrauch. Dazu möchte ich noch einmal klarstellen: Kinderpornographischen Darstellungen geht sexueller Missbrauch voraus. Und die regelmässige Nutzung von kinderpornographischem Material begünstigt weiteren Missbrauch. Aus diesem Grund favorisiert die Sexualmedizin primärpräventive Massnahmen, die therapeutische Unterstützung bei der sexuellen Impulskontrolle anbieten, bevor es zu sexuellem Missbrauch oder Kinderpornographiekonsum kommt. Im Zentrum stehen hier Eigenverantwortlichkeit und Problembewusstsein im Umgang mit der eigenen, pädophilen Sexualpräferenz.

Sie haben es eben gesagt: Ziel des Projektes ist es, die Nutzung von Kinderpornographie zu senken und auf diesem Weg sexuellem Kindesmissbrauch vorzubeugen. Wie nah sind Sie diesem Ziel vier Monate nach Start der Kampagne?

Wir sind überrascht, dass sich die grossen Internet-Anbietern bisher schwer tun, auf unser Projekt hinzuweisen. Die Idee ist ja, unseren Banner mit Link auf unsere website möglichst weit im Internet zu verbreiten. Insbesondere sollte bei der Eingabe entsprechender Suchbegriffe zu kinderpornographischem Material der Hinweis auf unsere Seite erscheinen. Wir suchen natürlich weiterhin das Gespräch und hoffen auf entsprechende Unterstützung, z. B. von Google. Auch die grossen Nachrichtenredaktionen scheinen derart unter kommerziellem Druck zu stehen, dass es offenbar kaum Möglichkeiten für Freischaltungen gibt. Das ist bedauerlich, aber ich bin zuversichtlich, dass wir mit der Zeit immer mehr Männer im Dunkelfeld erreichen werden.

Was stimmt Sie so optimistisch?

Wie Sie wissen resultiert das "Präventionsprojekt Kinderpornographie" aus den bisherigen Erfahrungen des "Präventionsprojekts Dunkelfeld (PPD)". Ziel des PPD war und ist es, Männern mit pädophiler Neigung präventiv therapeutische Massnahmen anzubieten, bevor sie Kinder sexuell missbrauchen. Das Hilfsangebot wird von dieser Zielgruppe gut angenommen, mehr als 1.000 Menschen haben sich seit Start des Projektes im Jahr 2004 bei uns gemeldet. Es gibt hier die Chancen für die primäre Prävention, die so früh wie möglich greifen sollten: noch vor dem "ersten Klick". Ich bin überzeugt, dass sich mit der Zeit auch das Problembewusstsein in der Öffentlichkeit dafür schärfen wird.

Weiterführende Links:
http://www.sexualmedizin.charite.de
http://kein-taeter-werden-ppk.charite.de

Hauptkategorien: Prävention und Reha , Medizin

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