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Kein Rabatt für schlechte Qualität

Donnerstag, 3. Dezember 2015 – Autor:
Kann man Qualität im Gesundheitswesen gesetzlich verordnen? Die Bundesregierung versucht es gerade mit einem neuen Qualitätsinstitut und zwei neuen Gesetzen.
9. Nationaler Qualitätskongress: Der Gesetzgeber hat eine umfangreiche Qualitätsoffensive gestartet

9. Nationaler Qualitätskongress: Der Gesetzgeber hat eine umfangreiche Qualitätsoffensive gestartet

Weltweit wird das deutsche Gesundheitssystem als vorbildlich gelobt. Im Inland hört man dagegen oft andere Töne. Experten wie Prof. Matthias Schrappe, Lehrbeauftragter für Patientensicherheit und Risikomanagement an der Universität Köln, führen rund 20.000 Todesfällen pro Jahr auf mittelbare und unmittelbare Behandlungsfehler zurück, und sagen seit Jahren „nicht weiter so.“ Die Unternehmensberatung Roland Berger verweist in einer aktuellen Studie darauf, dass Deutschland 2005 im europäischen Vergleich noch auf Platz drei bei der Qualität stationärer Behandlungen gelegen habe, Ende 2013 jedoch auf Platz neun abgerutscht sei. Schuld daran könnte die angespannte wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser sein, mutmaßen die Studienautoren. Rund 40 Prozent schrieben rote Zahlen.

"Qualitätsoffensive" ist im Koalitionsvertrag verbrieft

Die Bundesregierung ist derweil nicht untätig geblieben und hat in ihrem Koalitionsvertrag eine "Qualitätsoffensive" verbrieft. Das umfangreiche Maßnahmenpaket beinhaltet unter anderem die Gründung eines neuen unabhängigen Qualitätsinstituts und zwei neue Gesetze. Das Versorgungsstärkungsgesetz ist bereits seit Sommer teilweise in Kraft und zielt auf die Verbesserung der ambulanten Versorgung. Das Krankenhausstrukturgesetz ist eine neue Krankenhausreform, die Qualität und Finanzierung der Krankenhäuser ab Januar 2016 zukunftsfest machen soll.

Fragt man Ärzte, ob sich Qualität in der Medizin tatsächlich gesetzlich verordnen lässt, kommt man im Schnitt auf ein bescheidenes „jein. Der Gesetzgeber könne zwar gewisse Rahmenbedingungen vorgeben und mit semigesetzlichen Regelungen die Strukturqualität beeinflussen, meint der Ärztliche Direktor der Charité Prof. Ulrich Frei. Etwa in Form von gewissen Anforderungen an Personalausstattung, so wie es auf Intensivstationen oder Neonatologien der Fall ist, oder mit Mindestmengenregelungen. „Dagegen ist die Ergebnisqualität schon sehr viel schwerer messbar“, so Frei.

Das Gesetz sieht Qualitätszuschläge und -abschläge vor

Doch genau dieses Steuer will der Gesetzgeber nun mit dem neuen Krankenhausstrukturgesetz stärker an sich reißen. Erstmals sollen Qualitätszuschläge und -abschläge für Leistungen eingeführt werden – eine Art finanzielles Belohnungs- und Bestrafungssystem. In der Branche ist Pay-for-Performance allerdings heftig umstritten. Für den Qualitätspapst Schrappe ist es eines von zehn Geboten, für den Präsident der Bundesärztekammer Prof. Frank-Ulrich Montgomery bislang nichts als „intellektuelle Selbstbefriedigung ohne Substanz“, wie er im vergangen Jahr schriftlich erklärte.

Mittlerweile hat es die qualitätsorientierte Vergütung immerhin in den Gesetzesentwurf geschafft. Und das im Januar gegründete Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (ITQIG) hat bereits den Auftrag, jene Parameter zu entwickeln, die man für eine qualitätsabhängige Bezahlung braucht, nämlich Indikatoren, die erstens Qualität messen und zweitens rechtssicher sind. 

Momentan spricht jedoch vieles dafür, dass sich die Leistungsabschläge als zahnloser Tiger entpuppen. Selbst der Leiter des ITQIG Dr. Christof Veit räumt ein, Qualität werde man nie umfassend messen können. Er hält Pay-for-Performance daher allenfalls in einigen wenigen Bereichen für umsetzbar. Scheitern könnte das Vorhaben auch daran, weil man geduldete Qualitätsmängel den Patienten wohl kaum verkaufen könnte. Kassen und Krankenhäuser ziehen da mal ausnahmsweise an einem Strang. „Schlechte Qualität soll akzeptabel sein, wenn Kassen dafür einen Rabatt bekommen?“, fragt der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) Thomas Reumann. Das sei unzumutbar für die Patienten. Er fordert, genau wie der Vorsitzende des GKV-Spitzenverbands Johann Magnus von Stackelberg: „Wenn Krankenhäuser dauerhaft unzureichende Qualität liefern, sollten sie vom Netz genommen werden können , sie sollten diese Leistung nicht mehr erbringen dürfen.“

Unrealistisch ist dieses Szenario nicht. Schließlich wird Qualität ab 2016 als Kriterium bei der Krankenhausplanung eingeführt. In den 3,2 Milliarden Datensätzen, die Deutschlands Krankenhäuser jährlich für ihre Qualitätsberichte abliefern müssen, sind bereits genug Informationen enthalten, um Auffälligkeiten wie hohe Sterblichkeit oder Wundinfektionsraten dingfest zu machen. Bislang werden „Ausreißer“ zum strukturierten Dialog in die Landesgeschäftsstellen für Qualitätssicherung zu einer Art Nachsitzen eingeladen. Künftig könnte „Wiederholungstätern“ ein blauer Brief in Haus flattern.

In die Schlagzeilen war die neue Krankenhausreform jedoch aus einem ganz anderen Grund geraten. Kliniken gingen wegen der vorgesehenen Einsparungen von rund einer Milliarde Euro pro Jahr sprichwörtlich auf die Straße. Mit Erfolg: Statt Kürzungen kommt der Gesetzgeber den Krankenhäusern nun mit allerlei Bonbons entgegen. Pflegezuschlag, Tarifausgleichsrate, Pflegestellenförderprogramm und Verlängerung des Programms für mehr Hygienepersonal sind Dinge, mit denen Deutschlands Krankenhäuser gut leben können. „Endlich wird anerkannt, dass Qualität Ressourcen braucht“, zeigt sich DKG-Präsident Reumann erleichtert. Durch die Reform werde nun die Refinanzierung der Betriebs- und Personalkosten auf eine deutlich bessere Grundlage gestellt.

In das Pflegestellenförderprogramm werden zum Beispiel in den Jahren 2016 bis 2018 rund 660 Millionen Euro gesteckt. Anschließend soll es für die Pflege am Bett jährlich bis zu 330 Millionen Euro geben. Laut Bundesregierung werden damit rund 6.300 neue Stellen geschaffen. Ein Tropfen auf den heißen Stein, findet der Sachverständige Prof. Michael Simon, der den Bedarf auf 100.000 Vollzeitstellen beziffert. Die Gewerkschaft verdi spricht sogar von 162.000 fehlenden Pflegestellen.

Abgesehen von diesem nicht gerade unerheblichen Defizit bleiben weitere Probleme ungelöst. Keine Antwort hat das neue Gesetz auf die unzureichende Investitionsfinanzierung durch die Länder gefunden, ebenso blieben die chronische Unterfinanzierung der Notfallambulanzen sowie der Extremkostenfälle auf der Strecke. Fehlende Mittel gehen aber immer zu Lasten der Qualität. Ein richtig großer Durchbruch ist die neue Krankenhausreform deshalb nicht.

Versorgungsstärkungsgesetz kann allenfalls den Rahmen vorgeben

Ähnlich dürfte es auch um das neue Versorgungsstärkungsgesetz bestellt sein. Mit dem Gesetz versucht man zum Beispiel, Ärzte in strukturschwache Gebiete zu locken, etwa durch finanzielle Anreize oder die Einrichtung einer Praxis durch die KV. Dort soll der frischgebackene Landarzt dann vorerst als Angestellter arbeiten können, ohne unternehmerisches Risiko. Das klingt angesichts des ländlichen Ärztemangels vernünftig. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ist jedoch skeptisch, ob der medizinische Nachwuchs das überhaupt will. „Gesetze sind wichtig, um attraktive Rahmenbedingungen möglich zu machen. Sie führen aber nicht automatisch dazu, dass sich beispielsweise junge Ärzte in Gebieten niederlassen, wo es keinen Bäcker und keinen Metzger mehr gibt“, sagt KBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Andreas Gassen. Das Engagement gegen den drohenden Ärztemangel bleibt Gassen zufolge „eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung.“

Die im Versorgungsstärkungsgesetz verankerten Terminservicestellen der KVen, die Versicherten einen Facharzttermin innerhalb von vier Wochen garantieren sollen, hält der KBV-Chef sogar für überflüssig. „Die Terminservicestellen sind von der Politik als eine Art „Beruhigungspille“ für ein objektiv nicht vorhandenes Problem per Gesetz beschlossen worden“, sagt Gassen. Weltweit würden die Deutschen um ihre vergleichsweise kurzen Wartezeiten beneidet.

Das neue Qualitätsinstitut ITQIG soll es richten

Weniger neidvoll dürfte das Ausland indes auf die intersektorale Qualitätssicherung blicken. Experten sehen Deutschland hier auf dem Niveau eines Entwicklungslandes. Denn momentan endet die gesetzlich vorgeschriebene Qualitätssicherung mit dem Tag der Krankenhaus-Entlassung. Was danach mit dem Patienten passiert, bleibt im Nebulösen. Dabei verfügen die Kassen über sämtliche Daten – eigentlich.

Was Jahrzehnte nicht geklappt hat, soll nun das ITQIG richten. So datensparsam wie möglich will Institutsleiter Veit erstmals für Deutschland eine sektoren- und einrichtungsübergreifende Qualitätssicherung entwickeln – um endlich Transparenz in die gesamte Behandlungskette zu bringen. Die qualitätssicherungserprobten Kliniken sind schon gespannt. „Wenn es gelingen würde, die Routinedaten aus der stationären und der ambulanten Versorgung zusammenzuführen, wäre viel für die Qualitätssicherung getan“, meint Charité-Vorstand Ulrich Frei. „Aber was wir nicht brauchen können, ist eine neue Qualitätsbürokratie. Wir sammeln bereits genug Daten.“

Hier finden Sie die achtseitige redaktionelle Beilage von Gesundheitsstadt Berlin zum Thema Qualität und Patientensicherheit, die am 27. November 2015 im Tagesspiegel erschienen ist.

Foto: © Kzenon - Fotolia.com

Hauptkategorien: Berlin , Gesundheitspolitik
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