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"Frühe Therapie bei Alzheimer besonders wichtig"

Freitag, 14. September 2012 – Autor:
Der Demenz-Experte Prof. Dr. Hans Gutzmann über den Untergang von Hirnzellen und wie man den Krankheitsverlauf bei Alzheimer positiv beeinflussen kann.
Prof. Dr. Hans Gutzmann

Prof. Dr. Hans Gutzmann

Herr Professor Gutzmann, es gibt sehr unterschiedliche Formen der Demenz. Könnte man Alzheimer als "worst case" unter den Demenzerkrankungen bezeichnen?

Gutzmann: Alzheimer ist zwar die häufigste Demenzerkrankung, aber ich würde sie nicht unbedingt als "worst case" bezeichnen. Die "frontotemporale Demenz" ist genau wie Alzheimer eine degenerative Erkrankung, beginnt aber meist schon deutlich früher und geht zunächst mit schweren Defiziten im Sozialverhalten und Persönlichkeitsveränderungen einher. Das finde ich persönlich besonders tragisch. Aber natürlich ist jede Form der Demenz für den Betroffenen eine schlimme Situation.

Alzheimer ist bislang nicht heilbar. Kann man das Fortschreiten der Krankheit mit Medikamenten hinauszögern?

Gutzmann: Ja und nein. Einige Patienten profitieren sehr deutlich von den Medikamenten, besonders wenn sie früh gegeben werden. Andere Patienten hingegen profitieren gar nicht. Umso wichtiger ist, dass sich die Therapie nicht alleine auf Medikamente beschränkt.

Wie sieht eine nicht-medikamentöse Therapie bei Alzheimer aus?

Gutzmann: Hilfreich ist zunächst, wenn alle Grundgrössen wie Blutdruck, Zucker, Fettstoffwechsel usw. gut eingestellt sind. Ganz wichtig ist, die kognitiven und körperlichen Fähigkeiten zu fördern, ohne den Patienten zu überfordern. Sie müssen wissen: In dem Moment, wo der Patient selber schwere Gedächtnisstörungen bemerkt, sind wahrscheinlich schon 80 Prozent der Zellen des Hippocampus abgestorben. Je sorgsamer mit den noch vorhandenen Ressourcen des Patienten umgegangen wird, desto grösser die Chance, den Krankheitsverlauf hinauszuzögern.

Eine gesunde Lebensweise mit geistiger und körperlicher Aktivität hat also aufschiebende Wirkung?

Gutzmann: Ja, das ist so. Was ganz oft übersehen wird, ist, dass Menschen mit Alzheimer häufig auch an Depressionen leiden. Wenn die Depression aber frühzeitig mit behandelt wird, dann kann das drastische Erfolge haben. Mit Antidepressiva kann man die depressionsbedingte Denkhemmung sehr gut lösen.

Die frühzeitige Therapie scheint bei Alzheimer sehr wichtig. Wie sieht denn die Versorgungsrealität in Deutschland aus?

Gutzmann: Je älter ein Patient ist, desto schwerer tun sich die Hausärzte mit der Diagnose. Vieles wird mit dem Satz "Das ist halt das Alter" abgetan. Ich sage immer: Auch bei über 90-jährigen sollte noch eine Differentialdiagnostik erfolgen, wenn kognitive Einbussen das Leben beeinträchtigen.

Die derzeitige Alzheimer Therapie ist eine symptomatische Therapie. Warum tut sich die Alzheimer-Forschung so schwer, bei den Ursachen anzusetzen?

Gutzmann: Wir wissen über die Erkrankung leider noch viel zu wenig. Wir kennen lediglich die Veränderungen, die für Alzheimer charakteristisch sind, die Plaques und die Tangles. Aber wir wissen weder, was den Krankheitsprozess anstösst noch was ihn unterhält. Aber das wird sich ändern.

Ist die Alzheimer-Forschung auf einem guten Weg?

Gutzmann: Davon bin ich überzeugt. Forscher arbeiten zum Beispiel daran, Risikoprofile für die einzelnen pathologischen Veränderungen zu entwickeln. Diese Risikoprofile sind der genetischen Ausstattung zuzuordnen und sollen uns eines Tages dabei helfen, vorherzusagen, welches Medikament dem einzelnen Patienten helfen wird. Momentan tappen wir da völlig im Dunklen. Anders als früher angenommen ist bei Alzheimer nicht nur ein Gen beteiligt, sondern sehr viele Gene, die miteinander agieren. Das ist ein ausgesprochen komplexes Geschehen. Die Erforschung dieser Interaktion wird uns erheblich voran bringen.

Was ist noch in der Forschungs-Pipeline?

Gutzmann: Das Gehirn ist ein sehr plastisches Organ und besitzt selbst in hohem Alter noch die Fähigkeit, neue Nervenzellen zu bilden. Diese Plastizität wird durch Alzheimer eingeschränkt. Ein Etappenziel könnte sein, diese Bremse zu lockern und dem Hirn quasi die Möglichkeit zu geben, sein Potenzial zu entfalten. Nervenwachstumsfaktoren werden bereits als Therapeutikum im Experimentalstudium eingesetzt. Ein völlig anderes Prinzip ist die Beeinflussung von Entzündungsfaktoren, die mit Alzheimer einhergehen. Es gibt weitere Beispiele...

Über welche Zeiträume reden wir?

Gutzmann: Das ist schwer zu sagen, sicher nicht über heute oder morgen. Aber die Intensität, mit der an Alzheimer geforscht wird, gibt Grund zur Hoffnung. Vor vierzig Jahren war Alzheimer gerade mal eine Fussnote im Neurologie-Lehrbuch.

Werden die Erkenntnisse über die Entstehungsmechanismen auch Erkenntnisse hinsichtlich Präventionsmassnahmen zu Tage fördern?

Gutzmann: Mit Sicherheit. Wir haben aber heute schon genügend Daten, die zeigen, dass bei Alzheimer die gleichen Risikofaktoren gelten wie bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Übergewicht, Bluthochdruck, Bewegungsarmut, all das erhöht das Demenzrisiko. Wer Demenz-Prävention betreiben will, der sollte am besten schon in jungen damit Jahren anfangen. Aber auch mit 70 ist es noch nicht zu spät für geistige Herausforderungen und die Pflege sozialer Kontakte - beides kann ebenfalls präventiv wirken.

Prof. Dr. Hans Gutzmann ist Ärztlicher Direktor des Krankenhauses Hedwigshöhe Berlin, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und Vorstandsmitglied der Hirnliga.

Interview: Beatrice Hamberger

Hauptkategorien: Demografischer Wandel , Medizin , Pflege

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