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Fehlanreize im Gesundheitssystem belohnen Menge und nicht Qualität der Behandlung

Dienstag, 4. Dezember 2012 – Autor:
Qualität muss zum zentralen Steuerungsinstrument im Gesundheitswesen werden. Darüber waren sich die mehr als 400 Teilnehmer des 6. Nationalen Qualitätskongresses Gesundheit, bei dem sich Entscheider aus Pflege, Medizin, Gesundheitspolitik und Gesundheitswirtschaft am 29. und 30. November 2012 in Berlin trafen, einig.
Eröffnung 6. Nationaler Qualitätskongress Gesundheit

Kongresseröffnung: Ulf Fink, Dr. Regina KLakow-Frank (G-BA), Dr. Andreas Köhler (KBV), Dr. Doris Pfeiffer (GKV-Spitzenverband), Prof. Dr. h.c. Herbert Rebscher (DAK-Gesundheit), Prof. Dr. Joachim Szecsenyi (AQUA-Institut)

Das Jahr 2012 habe überdeutlich gezeigt, dass es bei der Qualität im deutschen Gesundheitswesen Probleme gebe, erklärte Kongresspräsident Ulf Fink. Er verwies u.a. auf die Infektionsereignisse auf den Neugeborenen-Intensivstationen im Bremer Klinikum und der Charité-Berlin. Zu den Gründen gehörten unter anderem wirtschaftliche Fehlanreize; gute Hygiene und Infektionsprävention auf Intensivstationen seien nicht erlöswirksam. Das Entgeltsystem für die Kliniken sei insgesamt auf Quantität anstelle von Qualität ausgerichtet. Dies müsse sich ändern. „Gute Qualität muss durch Entgelt-Anreize gefördert werden“, so Fink. Viele Teilnehmer des Kongresses forderten einen Paradigmenwechsel für mehr Qualität im Gesundheitswesen. Professor Joachim Szecsenyi, Geschäftsführer des AQUA-Instituts, erklärte, es bedürfe eines Kulturwandels. Qualität dürfe nicht nur ab und zu ein Thema sein, sondern müsse ein zentrales Anliegen der Medizin werden.

Sektorenübergreifende Qualitätssicherung gefordert


Ein Schwerpunkt des Kongresses war das Thema Qualitätssicherung. Dabei waren sich die Referenten einig, dass eine reine Verbesserung der Datenerfassung und -veröffentlichung nicht ausreiche. Wichtig sei auch die Qualität der Informationen. Ein zentrales Kriterium sei hier die Indikationsstellung, betonte der Vorstandsvorsitzende der DAK-Gesundheit Professor Herbert Rebscher. In den Qualitätsberichten der Hospitäler werde zwar die Arbeit der Operateure gut bewertet, doch die Güte der Indikationsstellung zeigten die Berichte nicht. Auch müsse das Thema Risikoadjustierung in der Qualitätssicherung stärker berücksichtigt werden.

Viele Kongressredner betonten zudem, dass Qualitätsmessungen auch wirklich in Qualitätsverbesserungen umgewandelt werden müssen. So erklärte die Vorsitzende des GKV-Spitzenverbandes Dr. Doris Pfeiffer, dass gegebenenfalls auch Sanktionen ausgeübt werden müssten. Bisher hätten die Krankenkassen aber keine Möglichkeit, Entgelte nach der Qualität auszurichten. Als besonders problematisch wurde auch das Fehlen einer sektorenübergreifenden Qualitätssicherung bewertet. Dabei könnte auf der Grundlagen von Sozialdaten der Patienten und von Abrechnungsdaten die Qualität des Behandlungserfolges über die Sektoren hinweg erfasst werden. Durch die kürzere Verweildauer der Patienten im Krankenhaus könne die medizinische Behandlungsqualität nur unter Betrachtung der ambulanten Nachsorge wirklich beurteilt werden.     

Multiresistente Erreger immer größeres Problem


Ausführlich wurden auch die Themen Infektionsschutz und Hygiene in Krankenhäusern behandelt. Nach wie vor stellen multiresistente Erreger ein großes Problem in den Krankenhäusern dar. Neben den grampositiven Erregern wie MRSA entwickeln sich seit einigen Jahren auch eine Reihe gramnegativer Bakterien zu einer zunehmenden Bedrohung im Gesundheitswesen. Nach aktuellen Resistenzstatistiken weisen diese sogenannten ESBL-Erreger (Extended Spectrum Betalaktamase Bildner), zu denen unter anderem die Bakterien E.coli und Klebsiellen gehören, über die letzten Jahre unter allen multiresistenten Erregern die höchsten Zuwachsraten auf.

Professor Georg Peters, Direktor des Instituts für Mikrobiologie des Universitätsklinikums Münster betonte, einer der Gründe für die starke Verbreitung von multiresistenten Erregern sei der zu hohe Verbrauch von Antibiotika. Allerdings müsse man sich bewusst sein, dass früher oder später gegen alle Antibiotika Resistenzen entstehen würden – selbst bei einem vernünftigen Gebrauch. Es sei daher immer ein Wettlauf gegen die Zeit. Um diesen nicht zu verlieren, seien mehr Forschungsbemühungen, eine bessere Ausbildung des medizinischen Personals sowie eine verstärkte Kommunikation des Problems in den Medien nötig.

Professor Petra Gastmeier, Direktorin des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin der Charité – Universitätsmedizin Berlin, machte darauf aufmerksam, dass in Kliniken vor der Anwendung von Antibiotika zu wenig Blutkulturen angelegt werden, obwohl dies in den Richtlinien stehe. Dies sei auch eine Folge des zunehmenden Kostendrucks.

Psychiatrische Versorgung auf dem Prüfstand


Ein weiteres wichtiges Thema auf dem Qualitätskongress war die Frage, wie sich die Versorgung in der Psychiatrie verbessern lasse. Einig war man sich darin, dass ein Qualitätssicherungssystem in der Psychiatrie dringend nötig sei. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) arbeitet derzeit daran, Indikatoren für die Beurteilung der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität zu entwickeln, Maßnahmen zur Sicherung der Qualität einzubringen und Empfehlungen für die Ausstattung der stationären Einrichtung mit therapeutischem Personal zu erarbeiten.

Professor Wolfgang Gaebel, Ärztlicher Direktor des LVR-Klinikums Düsseldorf sowie Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Heinrich Heine Universität Düsseldorf, betonte, dass es wichtig sei, sektoren-, disziplinen- und diagnoseübergreifende Indikatoren zu erarbeiten. Gerade in der Psychiatrie stellt sich dies allerdings oft als besonders schwierig dar. Diskutiert wurde auch, ob Routinedaten dazu geeignet seien. Dabei wurde von den Rednern betont, dass in der stationären Psychiatrie viele Leistungen der Ärzte gar nicht codier- und abrechenbar seien. Hier bestehe ein großer Nachholbedarf an einer Überarbeitung des Entgeltsystems.

Hygienestandards in den deutschen Kliniken


Professor Franz Daschner aus Freiburg und führender Klinikhygieniker in Deutschland betonte, dass nur rund 30 Prozent der Krankenhausinfektionen verhindert werden können, 70 Prozent der Infektionen seien die Folgen der modernen Medizin. Generell nehme die Gefahr durch Infektionen zu, je größer der medizinische Fortschritt sei. Die Krankenhausinfektionen haben, so Daschner, in Deutschland jedoch nicht zugenommen und die Kliniken im Bundesgebiet liegen bei den Krankenhausinfektionen im Vergleich zu anderen Industrienationen im Mittelfeld. Allerdings habe Deutschland eine viel zu große Häufigkeit bei den MRSA-Infektionen – hier gebe es viel zu tun.

Dr. Bernd Metzinger, Geschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, hält drei Maßnahmen zur Reduzierung von Infektionen im Krankenhaus für zentral: Es müsse der Antibiotikaeinsatz im ambulanten Bereich und in der Tiermedizin verringert werden. Zudem hätte das Personal im Krankenhaus durch die Leitungen die Möglichkeit zu erhalten, Hygieneprozesse einzuüben und verbindlich durchzuführen. Überdies müsse die Arbeitsverdichtung in der Pflege reduziert werden. Eine bessere Pflege und damit Infektions-verhinderung erfordere mehr Personal. Dr. Metzinger verwies darauf, dass in Deutschland 850 ausgebildete Krankenhaushygieniker fehlen. Dr. Gerhard Schillinger, Geschäftsführer beim AOK Bundes¬verband, stellte kritisch fest, dass sich z.B. nicht alle deutschen Krankenhäuser an der „Aktion saubere Hände“ beteiligen. Kliniken mit gutem Hygienemanagement müssten in der Öffentlichkeit sichtbarer werden.  
        

Deutscher Qualitätspreis Gesundheit geht an Franz Daschner


Erneut verlieh der Veranstalter des Kongresses, Gesundheitsstadt Berlin, den Deutschen Qualitätspreis Gesundheit – in diesem Jahr erstmals in Kooperation mit dem Tagesspiegel. Der mit 10.000 Euro dotierte Preis ist die bundesweit bedeutendste Auszeichnung im Bereich Qualität in der Gesundheitsversorgung und würdigt  vorbildliches Engagement für die Entwicklung und Umsetzung innovativer Konzepte zur Qualitätssicherung und Patientensicherheit in der Gesundheitsversorgung. In diesem Jahr ging der Deutsche Qualitätspreis Gesundheit an den o.g. Freiburger Arzt Professor Franz Daschner, einen der profiliertesten Klinikhygieniker Deutschlands.

Verantwortlich: 
Dr. Franz Dormann
Geschäftsführer
Gesundheitsstadt Berlin GmbH
Französische Str. 23
10117 Berlin

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