Ärzte wissen zu wenig über Zusatznutzen neuer Medikamente
In Deutschland sind mehr als 80.000 Arzneimittel zugelassen. Bei Neuzulassungen bewertet der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) den Zusatznutzen anhand sämtlicher verfügbarer Studien. Das hat in erster Linie finanzielle Gründe. Doch auch die Patienten sollen von dem Wissen profitieren. Schließlich ist nicht jedes neue Medikament automatisch für alle Patienten besser als ein altbewährtes. Oft profitieren nur einzelne Subgruppen davon, gerade im Bereich der Onkologie. Im Fall des Arzneimittels Axitinib hatte der G-BA hatte zum Beispiel für 99 Prozent der Nierenzellkrebspatienten keinen Zusatznutzen festgestellt; lediglich in einer Patientenuntergruppe von unter einem Prozent konnte er einen Zusatznutzen attestieren. Daten der gesetzlichen Krankenkassen belegen jedoch, dass das Krebsmittel weit mehr Patienten verschrieben wurde, als diesem knappen Prozent. Es sei daher zwingend davon auszugehen, dass die weit überwiegende Patientenzahl das Arzneimittel ohne Aussicht auf einen Zusatznutzen eingenommen habe, meint der Johann-Magnus von Stackelberg vom GKV-Spitzenverband.
Nebenwirkungen statt Zusatznutzen kann keiner wollen
Am Beispiel von Axitinib kritisiert der Verband der gesetzlichen Krankenkassen, das, was seiner Meinung nach bei der Bewertung des Zusatznutzens schiefläuft: das Wissen kommt beim niedergelassenen Arzt nur bruchstückhaft an - und vor allem viel zu spät, nämlich nur alle zwölf Wochen mit dem Quartals-Update der Praxissoftware. Ärzte könnten neue Arzneimittel somit weder therapeutisch sinnvoll noch wirtschaftlich verordnen. „Leidtragende sind die Patienten. Sie erhalten schlimmstenfalls Arzneimittel ohne Zusatznutzen, aber gegebenenfalls mit schweren Nebenwirkungen“, so von Stackelberg.
Damit Ärzte zeitnah die Details der G-BA-Beschlüssen erfahren, fordert der GKV-Spitzenverband den gesetzlich abgesicherten Aufbau neuer Datenströme vom G-BA zum Arzt und zur Krankenkasse. Für ein solches industrieneutrales Wissenstransfersystem müsste der G-BA die verordnungsrelevanten Daten wie etwa Patientengruppen, Zusatznutzen und zweckmäßige Vergleichstherapie einheitlich erfassen und datentechnisch zum Weiterverarbeiten aufbereiten. Nach Vorstellung der GKV sollte das über die Praxisverwaltungssoftware (PVS) passieren. Allerdings müsse der Gesetzgeber alle PVS-Anbieter dazu verpflichten, die Infos des G-BA stets aktuell einzuarbeiten.
GKV-Spitzenverband will Verordnungsprozess „gestalten“
Auf den ersten Blick klingt der Vorschlag gut: Ärzte würden besser und schneller über den wirklichen Nutzen von neuen Medikamenten informiert, Patienten blieben unnötige Nebenwirkungen erspart und das Gesundheitssystem würde einen Haufen Kosten sparen.
Der Vorschlag hätte für Ärzte jedoch weitreichende Konsequenzen. Geht es nach den Vorstellungen der GKV, würden die Kassen das Versorgungsgeschehen nämlich weit stärker kontrollieren als bisher. Denn ärztliche Entscheidungen sollen demnach künftig direkt an die Kasse übermittelt werden, so dass diese den Beratungsprozess „gestalten kann“, wie es heißt. Ob der Verband mit dieser Forderung durchkommt, ist aber noch keinesfalls ausgemacht. Entsprechende gesetzliche Grundlagen müsste der Gesetzgeber erst noch schaffen.
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