Ärzte kommen neuer Ursache für Fettsucht auf die Schliche
Leptin ist ein Hormon, das im Fettgewebe gebildet wird und Sättigungssignale an das Gehirn aussendet, wenn die Energiespeicher gefüllt sind. Beim erblich bedingten Leptin-Mangel wird das Sättigungshormon nicht oder nicht in ausreichender Menge produziert. Anders bei der nun entdeckten Krankheit, die offenbar einer besonders krassen Form von Übergewicht sprich Fettsucht führen kann. Ulmer Ärzte stellten bei einem dreijährigen Kind, das mit über 40 Kilo extrem übergewichtig war, sogar hohe Werte des Hormons fest. Dank einer Erbgutanalyse kamen die Ärzte aber dahinter, dass eine Genmutation das Hormon inaktiviert. Das heißt, trotz reichlicher Ausschüttung kann das Hormon seine Wirkung nicht entfalten.
Defektes Leptin-Gen führt zu ständigem Hungergefühl
„Diese Konstellation von Befunden hat mich an andere Krankheitsbilder aus der Kinderendokrinologie erinnert, bei denen Eiweißhormone vom Körper hergestellt werden und auch im Blut messbar sind, jedoch keine Wirkung entfalten. Wir sprechen dann von so genannten bioinaktiven Hormonen“, erklärt Prof. Dr. Martin Wabitsch, Leiter der Sektion Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Ulm, der sich schon seit vielen Jahren mit den genetischen Ursachen der Adipositas beschäftigt. Er ergänzt: „Die Information des Botenstoffs kommt am Ziel nicht an. Damit wird dem Körper ein Hormonmangel vorgetäuscht, der mit herkömmlichen Verfahren nicht messbar ist, da die gemessenen Konzentrationen im Blut normal sind.“
Ein Leptin-Mangel wird üblicherweise mit einem Bluttest festgestellt. Da dieser bei dem betroffen Kind aber unauffällig war, untersuchten die Ärzte – entgegen gängiger Richtlinien - das Leptin-Gen. Völlig unerwartet konnten sie eine Mutation des Gens feststellen. Die endokrinologische Forschergruppe an der Kinderklinik führte daraufhin zahlreiche Experimente durch. Letztendlich konnte gezeigt werden, dass das defekte Hormon im Fettgewebe des Patienten produziert und in die Blutbahn abgegeben wird, jedoch an den Zielorganen keine Wirkung entfaltet.
Behandlung mit Metreleptin führte zum Erfolg
Daraufhin entschlossen sich die Ärzte in Abstimmung mit den Eltern und der Ethikkommission das Kind mit Metreleptin zu behandeln. Metreleptin ist ein biotechnologisch hergestelltes Leptin und bislang für diese Indikation nicht zugelassen. Bereits nach wenigen Tagen sei eine eindeutige Wirkung zu erkennen gewesen, berichtet Wabitsch. Die ausgeprägte Nahrungssuche und der übermäßige Appetit seien vollständig verschwunden. Das Kind habe im Laufe der nächsten Wochen deutlich an Gewicht verloren und sein Stoffwechsel sei zusehends gesundet. Wabitsch: „Es ist davon auszugehen, dass dies kein Einzelfall ist. Wir haben bereits weitere Patienten mit dieser Diagnose identifiziert.“
Der Ärztliche Direktor des Universitätsklinikums Prof. Klaus-Michael Debatin spricht unterdessen von einer bahnbrechenden Entdeckung. „Wir haben eine völlig neue Krankheitsbild beschrieben“, sagte er. „Das mögliche Vorkommen von biologisch inaktiven Signalmolekülen wurde bislang in der Medizin weitgehend ignoriert.“ Die Ergebnisse der durchgeführten Ulmer Experimente und der Therapieerfolg wurden in dem medizinischen Fachjournal, dem „New England Journal of Medicine“, publiziert.
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